Schon 2011 betrieb die SVP Wahlkampf mit Menschen aus dem Balkan. «Kosovaren schlitzen Schweizer auf», hiess es zwei Monate vor den Wahlen in einem Zeitungsinserat der Partei. Das Bundesgericht verurteilte den damaligen Generalsekretär der SVP sowie seine Stellvertreterin 2017 wegen Rassendiskriminierung gemäss Strafgesetzbuch.
Auch in diesem Wahlherbst setzt die SVP wieder auf Menschen mit Wurzeln im Balkan. Doch die Vorzeichen haben sich geändert. Wie der «Tages-Anzeiger» am Donnerstag berichtete, reicht die SVP des Kantons Zürich für die Nationalratswahlen eine Secondo-Liste ein. Dieses Konzept hatte die SP Anfang der Nullerjahre erstmals angewandt, ist unterdessen aber wieder davon abgerückt.
Viele der Secondo-Kandidierenden fühlen sich gemäss Kantonalparteipräsident Domenik Ledergerber von der Verkehrspolitik der SVP angesprochen. «Diese Leute schätzen es, dass wir uns für die Besitzer von Diesel- und Benzinfahrzeugen einsetzen und gegen die Einschränkungen im Individualverkehr kämpfen», sagte er zum «Tagi».
Doch die SVP habe für Balkan-Secondos mehr zu bieten als nur Benzin, sagt Ledergerber gegenüber der «Schweiz am Wochenende». Vielen von ihnen seien dieselben Werte wie seiner Partei wichtig: Freiheit, Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität. «Viele Secondos sind stolz auf die Schweiz und schätzen es, dass die SVP dem Land Sorge trägt.»
Die Namen der Kandidierenden auf der Secondo-Liste verrät er noch nicht. Doch rund ein Drittel der 25 Nominierten hätten Wurzeln im Balkan. Als Spitzenkandidat hingegen ist ein italienischstämmiger Kommunalpolitiker vorgesehen.
Dass die SVP nun ausgerechnet um die Stimme jener Menschen buhle, gegen die sie jahrelange - und im eingangs erwähnten Fall höchstrichterlich als rassistisch verurteilte - Kampagnen geführt hat, stellt Domenik Ledergerber in Abrede: «Wir haben immer betont, dass die SVP nichts gegen Ausländer oder Secondos hat, die hier integriert sind, unsere Werte respektieren, die Gesetze einhalten und zu unserem Wohlstand beitragen.»
Arbër Bullakaj, der für die St. Galler SP für die National- und Ständeratswahlen antritt, widerspricht deutlich: «Die jahrzehntelangen Hetzkampagnen der SVP hatten einen direkten, negativen Einfluss auf das Leben von Menschen mit Wurzeln im Balkan, etwa bei der Lehrstellensuche oder auf dem Arbeitsmarkt», sagt der 37-Jährige.
Dass die SVP nun mit einer Secondo-Liste versuche, Stimmen von Schweizerinnen und Schweizern mit Wurzeln im Balkan zu ködern, sei «zynisch und opportunistisch», überrasche ihn jedoch nicht. «Um Wählerstimmen zu gewinnen, war der SVP schon immer keine Idee zu heuchlerisch.» Doch Bullakaj schätzt das Potenzial der Secondo-Liste als gering ein: «Viele Menschen mit Wurzeln im Balkan, speziell aus der albanischen Community, würden kaum die SVP wählen».
Das sieht Përparim Avdili, Nationalratskandidat und Präsident der Stadtzürcher FDP, ähnlich. Ihn stört an der Secondo-Liste der SVP vor allem, dass die Kandidierenden ausschliesslich als Stimmlieferanten für die SVP-Hauptliste dienen, ohne realistische Wahlchance. Er habe sich in der FDP bewusst dafür eingesetzt, dass Menschen mit Migrationshintergrund mit entsprechendem Leistungsausweis für die Partei dieselbe Chance erhalten wie alle anderen. «Sie gehören auf chancenreiche Listenplätze auf der Hauptliste.»
Auch für Sanija Ameti, Nationalratskandidatin der Zürcher GLP, schwingt bei der Nebenliste die Botschaft mit, dass man die Secondos nicht für vollwertige Bürger» erachte. Dasselbe sei beim Fokus aufs Thema Auto der Fall. Die SVP habe schon in den Abstimmungskampagnen zum CO2- und zum Klimaschutzgesetz gezielt versucht, balkanstämmige Stimmbürger mit der Angst vor hohen Benzinpreisen zu mobilisieren: «Diese Reduktion von Mitbürgerinnen und Mitbürgern auf das Klischee der Autofahrer hat eine chauvinistische Komponente. »
Professor Oliver Strijbis von der Universität Zürich erforscht seit Jahren die politischen Einstellungen der Schweizerinnen und Schweizer mit Migrationshintergrund. Auch er beurteilt das Potenzial der Zürcher SVP mit einer Secondo-Liste skeptisch: «Aus der Forschung wissen wir, dass diejenigen Einwanderungsgruppen, die im Fokus der Kampagnen von migrationskritischen, rechten Parteien wie der SVP waren, zunächst politisch nach links tendieren.»
Doch grundsätzlich habe die Partei richtig erkannt. dass auch sie bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund durchaus ein Wählerpotenzial habe. Die Differenzen bei den politischen Präferenzen zwischen der Schweizer Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund seien gering.
Das Buhlen um Balkan-Secondos mit dem Thema Autofahren und Benzinpreise sei zwar reduktionistisch - aber argumentativ nicht völlig abwegig. Denn im Vergleich zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund gewichten die erste und zweite Migrantengeneration so genannte materialistische Werte - also beispielsweise Lebenskosten, Steuern, wirtschaftliche Entwicklung - höher als postmaterialistische Werte wie Ökologie oder Gleichstellung der Geschlechter. Hier sei das Profil der SVP anschlussfähig.
Die Nominierten auf dieser Liste könnten in ihrem Bekanntenkreis zwar einige Stimmen holen, die sonst nicht der SVP-Hauptliste zugutegekommen wären. Doch die SVP gehe mit ihrer Secondo-Liste auch ein Risiko ein, sagt Politologe Strijbis. Aus der Forschung wisse man, dass Kandidierende mit ausländisch klingenden Namen auf SVP-Listen überdurchschnittlich oft gestrichen würden. Viele Wähler der SVP seien der Migration und den Migranten gegenüber kritisch eingestellt: «Die SVP riskiert, einen Teil ihrer Wählerschaft mit einer Secondo-Liste vor den Kopf zu stossen».
Das sieht SVP-Kantonalparteipräsident Domenik Ledergerber anders: «Mit der Secondo-Liste können wir jenem Teil unserer Wählerschaft, der vielleicht eine gewisse Skepsis hat, aufzeigen, dass viele gut integrierte Secondos die Werte der SVP teilen.» (aargauerzeitung.ch)
die SVP bei sehr sehr vielen dieser Leute ironischerweise tatsächlich die erste Wahl (und zwar weit mehr als 25%). Das ist das, was mich auch immer so traurig stimmt. Nur damit ich mich richtig ausdrücke: Ich rede nicht pauschal von allen, aber die Schnittmenge ist leider enorm. Viele haben die gleichen ultrakonservativen Ansichten, gepaart mit einem ungesunden Pseudo-Patriotismus. Umweltthemen interessieren nicht wirklich und der soziale Gedanke hört auf, wenn es nicht um die eigene Familie geht.